Die United Nations, Erinnerungen und Sesambällchen

5 Monate in Kanada sind um und 5 Nationalitäten sitzen in einem SUV. 

5 Monate Kanada sind um. 

5 Monate... 

Puuuuuuh. 


So fühle ich mich also als Federico's Gastmutter mit der multinationalen Gruppe Richtung New Minas düst und ich nachdenklich aus dem Fenster starre um die schneeweißen Tannenspitzen am Straßenrand zu zählen. So als wären die 5 Monate an mir vorbeigedüst. Just like that. Daniela fliegt in einer Woche zurück nach Kolumbien, Celina, Annika und Anna nach Deutschland, Isidora nach Chile, während Cecilia schon längst wieder in Italien, Isadora in Brasilien und Klara in Slowenien ist. Unvorstellbar oder? Da sitzen 5 Nationalitäten in einem kanadischen SUV und fahren nach New Minas. Um Tschüss zu sagen. Um ein letztes Mal mit Daniela essen zu gehen bevor sie in den Flieger steigt. Ich habe plötzlich einen Kloß im Hals, wenn ich daran denke. 


16:45 Uhr

Wir klettern langsam aus dem großen Geländewagen und schliddern über Eispfützen zur Eingangstür des Sushi Restaurants. Drinnen ist es warm, es duftet nach fantastischem Essen und wir werden freundlich begrüßt und zu unserem Tisch gebracht. Hanna und ich bestellen grünen Tee, die anderen reden über das eiskalte Wetter draußen. Nachdem uns die Kellnerin das All you can eat Prinzip des Restaurants erklärt hat, kehrt kurz Ruhe ein, was für uns laute Persönlichkeiten eher selten ist. "Und? , fragt Hanna dann, 5 Monate also" - Allgemeines Nicken und alle bestätigen, wie sehr doch die Zeit dahin geflogen ist. Wir bestellen Sushi, quasseln über alles mögliche und dann, als es gerade kurz mal wieder ruhig wird frage ich: "Sagt mal, was war eure tollste Erinnerung im letzten halben Jahr? Weil ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen soll...". Und damit ging es dann plötzlich los, alle erzählen der Reihe nach von Weihnachtstraditionen der Gastfamilie, dem ersten Schultag, Zeit mit Freunden, lustigen Dingen im Schulalltag, von Parties und fünf Monaten voller Ups and Downs, von Heimweh und Schokolade, Poutine und Tim Hortons Kaffee. Und dieses Lächeln in unseren Gesichtern. Asude grinst in die Runde und sagt:"Ich bin so verdammt glücklich euch zu kennen, wisst ihr das eigentlich?", darauf folgt allgemeine Zustimmung bis Federico plötzlich vorschlägt "Okay Ladies, heute ist der 24. Januar 2020. In genau 10 Jahren treffen wir uns irgendwo auf dieser Welt in einem Sushi-Restaurant wieder und erzählen uns all das, was wir im Leben der anderen verpasst haben...Deal?". Unsere Tischnachbarn schauen nun endgültig genervt, als unser Tisch in aufgeregtes glückliches Durcheinander verfällt. Die Stimmung ist ausgelassen, wir bestellen noch mehr Sushi,noch mehr Frühlingsrollen, noch mehr Pad Thai. Alle teilen alles, was auf dem Tisch steht, es wird alles probiert und bewertet. Und da sitzen wir nun, 7 so unterschiedliche Menschen aus 5 Ländern, die alle eine andere Sprache sprechen und sich doch verstehen. Je mehr wir miteinander über Zuhause reden, desto mehr kommt dabei heraus, wie ähnlich wir doch sind. Und wie toll unsere Unterschiede sein können. Wir reden über unsere Ängste, über die Zukunft und unsere Verantwortung daraus was Gutes zu machen. Wir teilen Nudelgerichte und Hoffnungen, Träume von einer Welt in der unsere Heimatländer sich verstehen und Politik mal was wird, das wir zusammen tun können. Wir lachen. Laut und lange und ohen Scham. Wir reden über Probleme und Sorgen, über Tradition und Religionen, Sexualität und Gleichberichtigung. 

Wir bestellen Nachtisch, drei Mal. Aber die Sesambällchen sind auch einfach nur fantastisch. Ungefähr so weich und warm, wie sich mein Herz anfühlt, wenn ich diesen tollen Menschen in die Augen schaue. 

Wie erinnern uns an schweißnasse Hände am ersten Schultag und Daniela versucht 20 Minuten lang vergeblich Asude, Zoe und Hanna ein kolumbianisches Spiel zu erklären. Elena, Federico und ich wischen uns die Lachtränen aus den Augen. Der Nachbartisch hasst uns jetzt vermutlich. 

Ich schaue mich um und kann es kaum fassen, dass ich all diese tollen Menschen vor 5 Monaten nicht kannte. 

Da sitzen nun also 5 Nationalitäten an einem Tisch gefüllt mit frittierten Bananen, Sesambällchen und grünem Tee und vergessen Ländergrenzen, Sprachbarrieren, Vorurteile und Fremdenfeindlichkeiten.

Da sitzen also 5 Nationalitäten an einem Tisch und verstehen die Welt nicht mehr.