Hurricane

"In the eye of a hurricane there is quiet, for just a moment, a yellow sky"


Diese Zeilen stammen aus einem meiner Lieblingsmusicals mit dem stolzen Titel "Hamilton" nach der gleichnamigen Hauptfigur und einem der amerikanischen founding fathers Alexander Hamilton, welcher hier unter anderem von seiner traumatischen Erfahrung mit einem Hurricane erzählt, der die Welt auf seiner kleinen karibischen Heimatinsel komplett zerstört hat.

So muss es jetzt Tausenden von Menschen gehen, die auf den Bahamas die volle Wucht des Sturms Dorian abbekommen haben, ihr Leben ist wortwörtlich weggefegt, was bleibt ist Angst, Zerstörung, Hunger, Durst, Schmerz und Chaos. Der Sturm, der die Bahamas mit einer Hurricanestufe 5 erreichte, war schon um einiges langsamer als er in Florida eintraf, doch auch an der gesamten US-amerikanischen Küste verwüsten Starkwinde und schwere Regenfälle das Land. Was bei uns hier oben in Nova Scotia ankommt ist nur ein Windchen, gegenüber dem was dort viele viele Kilometer südlich über die Bahamas gezogen ist, und dennoch bleibt es auch hier ein Hurricane Stufe 2, umgewehte Bäume, keine Wasserversorgung, kein Strom. Als ich am Samstag gegen Mittag unter die Dusche springen will, kommt nicht mal mehr ein Tropfen Wasser aus dem Hahn. Das Licht flackert schon seit 12 Uhr mittags, doch um 13 Uhr geht plötzlich alles aus. Windig ist es, das stimmt, aber nichts deutet auf einen ernstzunehmenden Sturm hin und auch die anderen Anwohner sehen die Situation mehr als entspannt. Wenn die Sturmwarnungen durchgegeben werden fällt immer wieder der Satz "Jaja das sagen die immer und dann kommt hier doch nur eine einzige Gewitterwolke an". Doch als am Samstagabend mehr als nur "eine Gewitterwolke" aufzieht, werden auch die coolsten Kanadier langsam nervös. Der Supermarkt ist plötzlich wie leergefegt, in unserem Badezimmer stehen gefüllte Wassereimer, die Taschenlampen liegen mit neuen Batterien gefüllt auf dem Tisch und es wird fleißig rumtelefoniert. Wer hat noch Strom? Wieso ist der  jetzt überhaupt schon aus? Wieso haben wir kein Wasser? Wann ist der Sturm so richtig hier? Denn als der Himmel eigentlich nur noch eine einzige graue Masse ist, klatschen selbst die Äste der dicken Bäume immer schneller gegen die Fensterscheiben, Blätter wirbeln vorbei, die jüngeren Bäume stehen schräg im Wind. Jetzt werden Wetternachrichten mit den batteriebetriebenen Radios auch tatsächlich gehört, zu diesem Zeitpunkt sind die Tankstellen schon komplett an Benzin leergekauft. Kerzen werden angezündet, alle halbe Stunde ein Wetter Update, langsam verabschieden sich die Handyakkus. Es wird dunkel draußen und mit Einbruch der Dunkelheit zieht das Sturmzentrum über uns hinweg.
Es ist still im Haus, wir spielen Karten bei Kerzenlicht und fühlen uns eingeengt, aber können unmöglich raus. Also gehen wir ins Bett, machen die Augen zu und beten, dass es bald vorbei ist.

Wir haben einen Hurricane Stufe 2 erlebt, es gibt keine Verletzten, kaum Sachschäden, keine Schäden am Haus selbst, Strom und Wasser ist hier zwar aus, aber wir kriegen alles was wir brauchen von der Verwandtschaft und können die ganze Situation mit Humor nehmen.

Die Bahamas haben einen Hurricane Stufe 5 erlitten. 160 mph schnelle Winde haben alles zu einer einzigen wüsten Fläche gemacht, in wenigen Stunden ist das ganze Leben von zahllosen Inselbewohnern zerstört, es gibt schon früh erste Meldungen über Tote, Dunkelziffer vermutlich aber weitaus höher. Strom und Wasser ist komplett weg, dafür steht das Wasser überall hoch. Das Militär evakuiert großflächig, ein Kreuzfahrtschiff transportiert Nahrung und Wasser. Das war nur ein Sturm und es ist unfassbar was das auslöst. Das war nur ein Sturm und schon haben viele Menschen, deren Leben noch vor kurzem normal war, kein Zuhause mehr.
Also, wenn ihr heute Abend ins Bett geht, dann denkt bitte einmal daran, was gerade anderswo auf dieser Welt passiert und das es eben nicht selbstverständlich ist, wenn es draußen stürmt ins Bett zu gehen mit dem Wissen, das es morgen früh ja alles wieder gut und vorbei sein wird. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Sandra (Montag, 09 September 2019 11:14)

    Hey du
    Super Bericht, liebe Julia und wir alle sind sehr, sehr froh, dass ihr so glimpflich davon gekommen seid!
    Jetzt ist mit Sicherheit Aufräumen angesagt!
    Wie schön, dass alle zusammen halten und Nachbarschaft dort noch groß geschrieben wird ��